Wie ich zum / auf’s Tandem kam!
Es war das Jahr 2009.
Ich lebte und arbeitete in Rom für eine 1-Frau-Reiseveranstalterin, die sich darauf spezialisiert hatte, für ausländische Gruppen jeglicher Art den Besuch der Ewigen Stadt zu organisieren.
Unter anderem führte ich auch einzelne Touristen auf dem Rad oder als joggende Reiseleitung durch Rom.
Alle diese Gruppen waren speziell, z.B, das Suzuki-Orchester aus Japan oder der High-School-Choir aus Tasmanien oder die durchgeknallte Schulklasse aus den USA. Doch eines Tages bekam ich einen Anruf von einer Gruppe der besonderen Art. Eigentlich ist mein Motto bei meiner Arbeit: “Geht nicht, gibts nicht”, doch der Wunsch dieser Gruppe schien sogar mir für einen kurzen Moment unmöglich – aber nur kurz!
Die Stimme am anderen Ende der Leitung sagte: “Sarah, wir sind eine Gruppe von blinden und sehende Radfahrern und wollen mit ca. 30 Tandems und 20 Einzelrädern von Stuttgart über die Alpen nach Rom fahren. Organisiere uns die Unterkünfte mit Garagen und die Essen. Und wenn wir dann in Rom sind, müssen wir den Papst persönlich treffen und ihm unsere “Charta” des Selbsthilfevereins “Pro-Retina” in die Hand drücken. Dann bekommen wir einige Tausend Dollar an Fördergeldern für die Forschung”. Stille am anderen Ende der Leitung. Ich habe mal kurz geschluckt. Aber dann habe ich mich auf mein Rad geschwungen und bin in den Vatikan gefahren. Dort habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, an jeder Tür geklopft, jede Klinke geputzt, nach jedem Strohhalm gegriffen: z.B. das Dt. Pilgerbüro, die Kirche der dt. Gemeinde in Rom, den dt. Kulturattaché, Radio Vatikano, das Auswärtige Amt, den italienischen Radfahrclub, die…
Sogar an der Schweizer Garde hatte ich mich mal mit meinem Rad vorbei geschlichen und bin dann auf dem “Dt. Friedhof Teutonico” im Vatikan gelandet. Überall bat ich dramatisch und mit tiefster Inbrunst, dass der Papst “Il Papa Benedetto” doch unbedingt diese blinden und sehenden Radfahrer empfangen müsse, die den ganzen Weg von Stuttgart nach Rom pilgerten! Doch nichts passierte.
Aber meine Pilger kamen natürlich trotzdem. In einem vielleicht 100 m langen Tross fuhren die Radfahrer nach 1200 km endlich die “Via Conciliazione” runter auf den Petersdom zu. Ich mittendrin, denn ich hatte es mir natürlich nicht nehmen lassen, zumindest die letzten 20 km mitzufahren.
Es ist noch heute unbeschreiblich, was für einen Moment ich da erleben durfte! Die Radfahrer lagen sich in den Armen, erschöpft, aber stolz und überglücklich. Sie konnten es kaum glauben, dass sie es nach 12 Tage endlich geschafft hatten! Für viele war in diesem Moment ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen! Und ich hatte einen klitzekleinen Teil dazu beigetragen.
Am Abend wurde im Hotel dann ausgelassen gefeiert.
Aber es fehlte noch der Papst!
Am nächsten Tag war die wöchentliche Papstaudienz. Ich hatte es zumindest hingekriegt, dass meine mittlerweile 90 – 100 Leute Sitzplätze in den vorderen Reihen bekommen hatten. Es war ein Bild für die Götter, wie wir da alle in unseren gelben Trikots saßen. Plötzlich kam ein gemütlich aussehender Pater zu uns und sagte kurz und knapp: ” 4 Leute von euch mitkommen”. So sind Horst, Helga, noch jemand aus dem Organisatorenteam und ich die Treppen hoch und haben während der ganzen Audienz oben neben dem Altar gestanden. Die anderen Auserwählten, die hier oben stehen durften waren einige othodoxe Mönche, einige alte und gebrechliche Menschen und ganz viele Brautpaare.
Nach dem Abschlussgebet kam dann Benedikt auf uns zu und sagte: “Ah, ihr seid diese besonderen Radfahrer! Man hat euch mir schon angekündigt”. Wir waren natürlich alle stolz wie Oskar und hielten einen kleinen Smalltalk über die Krankheit der Netzhautgeneration, unter der sein Bruder auch litt. Horst hatte ein Geschenk dabei. Er sagte: „Ehrwürdiger Vater, wir haben hier eine Kleinigkeit für Sie, eine Svarowski-Lupe.“ Benedikt nahm und betrachtete sie und sagte dann: „Endlich mal ein Geschenk, dass ich auch gebrauchen kann“!
Dann nahm er unsere Charta, schenkte jedem von uns noch einen weißen Rosenkranz und wandelte von dannen. Obwohl ich ja nicht gerade der größte Papstanhänger bin, fühlte ich mich doch etwas beseelt – und alle anderen natürlich auch!
Jetzt war diese Pilgertour perfekt! Und von jetzt an war ich “Der Engel von Rom”.
Das waren meine ersten Erfahrungen mit blinden Radfahrern! Doch nicht die letzten.
Als ich nach den 9 Monaten Rom wieder nach Deutschland kam, machte ich mich als Gruppen-Reiseveranstalterin selbständig. Eigentlich organisiere ich ja Reisen für Chöre und Orchester, doch nach kurzer Zeit kam schon wieder ein Anruf. “Sarah, Engel von Rom, möchtest du nicht wieder eine Tour für uns ausarbeiten?” Und so ging es dann weiter. Ich und meine Mitarbeiterin Elisabeth organisierte n “Quattropole” (Sternfahrten nach Luxemburg, Trier, Metz und Saabrücken), “Pfalz und die Nordvogesen” und den “Jakobsweg” zum ersten Mal.
All das spricht sich natürlich in den Insiderkreisen rum und plötzlich bekam ich wieder einen Anruf: “Frau Schäfer, ich bin blind, habe ein Tandem, bin aus dem Saarland und suche eine Pilotin”.
Ende der Geschichte: Jetzt organisiere ich nicht nur Tandemreisen, jetzt sitze ich auch selber auf dem Tandem.
Der größte Wunsch meines blinden Copiloten Adrian ist es, den Jakobsweg auf dem Tandem zu fahren.
Also machen wir es einfach!
Wie gesagt: “Geht nicht, gibt’s nicht”!
Wir freuen uns über jeden Weggefährten, der sich mit uns auf die Reise macht!
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