“Grenzenloses” Radvergnügen
Tag 1
Damit hatte nun wirklich keiner rechnen können: noch bis Samstag hatte es in Strömen gegossen, erst am Sonntagmorgen riss der Himmel langsam auf und wir konnten bereits im Trockenen die Räder und das Gepäck im Auto verstauen.
Um es gleich vorwegzunehmen: das gute Wetter, ja, strahlendes Sommerwetter begleitete uns in den folgenden sieben Tagen auf unserer diesjährigen Tandem-Tour und machte jeden Tag zu einem wunderbaren Erlebnis.
Unser Ziel diesmal: der Pfälzerwald, oder genauer: der Naturpark Pfälzerwald/Nordvogesen, das größte zusammenhängende Waldgebiet Westeuropas und das bislang einzige von der UNESCO anerkannte grenzüberschreitende Biosphärenreservat Europas.
Der Ankunftstag:
Als wir dann in Heilsbach ankamen, konnten wir den Kaffee und selbstgebackenen Kuchen ganz beruhigt im Freien auf der Terrasse vor „unserem“ Haus aufstellen und die Ankunft der Teilnehmer ganz entspannt erwarten. Vierundzwanzig waren wir diesmal: Junge und Alte, Männer und Frauen, Sehende und Nichtsehende.
Als Unterkunft hatten wir die Freizeit- und Bildungsstätte Heilsbach ausgewählt, ein ruhiges, parkähnliches Anwesen, in einem Seitental zwischen den Ortschaften Schönau und Fischbach gelegen und umgeben von Misch- und Nadelwäldern. Die Heilsbach bietet – was auch von allen bestätigt wurde – optimale Voraussetzungen für eine angenehme, barrierefreie Unterkunft und ist ein idealer Ausgangspunkt für Radtouren in die nähere und weitere Umgebung.
Ein großes, gut beschildertes Radwegenetz sowie gut befahrbare Wirtschaftswege und verkehrsarme Landstraßen diesseits und jenseits der Grenze sollten uns in den nächsten Tagen zu den Naturschönheiten und Kulturdenkmälern des Dahner Felsenlandes, des benachbarten Nordelsass‘ und der Südlichen Weinstraße führen.
Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen der Republik angereist – und manch ein Tandem-Team war noch nie zuvor zusammen gefahren. So nutzten wir denn die Zeit zwischen Kaffee und Abendbuffet für den Zusammenbau der Räder – und den der Tandem-Teams. Erste Fahrversuche und Ausflüge nach dem Motto „Erkunden der näheren Umgebung“ wurden unternommen. Noch wagte sich nur eine der Frauen ins kühle Nass unseres herrlichen Pools, mit den steigenden Temperaturen im Laufe der Woche wurden es dann immer mehr.
Nach dem reichhaltigen und schmackhaften Abendessen – ein dreigängiges Menü, das in Buffetform angeboten wird und zum Nachfassen einlädt – gab es dann noch eine kurze Besprechung, um das Programm für die nächsten Tage, das im Vorhinein alle zugeschickt bekommen hatten, endgültig festzulegen. Ein bisschen nervös waren wir alle vor der ersten Tour, doch mit dem ersten Schoppen des guten Pfälzer Weines löste sich die Anspannung.
Tag 2
Wie gesagt, der Kern der Gruppe kannte sich zwar schon aus den Vorjahren, aber es waren ja auch ein paar Neue dabei, und so ließen wir es erst einmal langsam angehen. Von unserer Unterkunft, der „Heilsbach“, aus nahmen wir den ersten Anstieg in Angriff: Burg Fleckenstein im nahegelegenen Nordelsass.
Mehr oder weniger mühelos schafften alle die erste Etappe, danach ging es ja nur noch bergab hinunter ins Tal der Wieslauter, gen‘ Dahn, den Namensgeber des Dahner Felsenlands. Jungfrausprung, Braut und Bräutigam, Altdahner und Neudahner Burgruine usw. lagen am Wegesrand und leuchteten rot in der Mittagssonne.
Das uns umgebende Grün der noch vom Regen getränkten Bachlandschaft bildete einen reizvollen Kontrast hierzu. Was nicht alle sehen konnten, konnten immerhin die meisten hören: das Geschnatter der von uns aufgeschreckten Wildenten und das leise Plätschern des Flusses, der sich zwischen Radweg, Eisenbahnlinie und Fahrstraße entlangschlängelte. Dank ihrer geschulten und sehr engagierten Begleiter bekamen zum Glück auch unsere beiden taubblinden Teilnehmer diese Eindrücke „übersetzt“.
Nach der Mittagspause ging’s zurück in zwei Gruppen. Die dank des kürzeren Rückwegs „schnellere“ Gruppe vertrat sich anschließend auf dem Barfußpfad die Beine – ein ganz anderes sinnliches Erlebnis.
Tag 3
Am Morgen galt es zunächst, erste schmerzende Druckstellen zu versorgen, weniger Geübte trotz drohender Neuanstrengung neu zu motivieren. Aber die Stimmung in der Gruppe war einfach super und die Möglichkeit, zu gegebener Zeit „auszusteigen“, dann auch letztlich überzeugend.
Alle zusammen fuhren wir in gemächlichem Tempo den Col du Pigeonnier hinauf und ließen uns dann nach Wissembourg hinunterrollen. Eine kurze Stadtbesichtigung – und weiter ging’s auf dem Radweg über die Weinberge der Deutschen Weinstraße nach Bad Bergzabern zum Mittagessen und einer wohlverdienten Verschnaufpause.
Zurück fuhren wir durch dieTäler des Klingbach und der Lauter, vorbei an Burg Landeck und Burg Berwartstein, deren Besichtigung sich einige trotz des steilen Anstiegs nicht entgehen lassen wollten. Die anderen konnten sich dafür im Pool entspannen.
Tag 4
Wer bis jetzt noch nicht wusste, in welch bemerkenswertem Naturreservat wir uns hier befanden, der konnte sich spätestens heute im nahegelegenen Biosphärenhaus davon überzeugen. Nach dem Frühstück machten wir uns also auf nach Fischbach, das bequem zu Fuß zu erreichen war. Ein einführender Vortrag des Leiters des Biosphärenhauses, Herr Diehl, den dieser mit viel „Fingerspitzengefühl“ im doppelten Wortsinne für unsere besondere Gruppe hielt, eröffnete uns ganz neue Wege der Wahrnehmung dieser herrlichen Umgebung.
Neben dem Biosphärenhaus schlängelt sich Deutschlands erster Baumwipfelpfad durch die Baumkronen des Pfälzerwalds. Der 270 Meter lange Pfad führt in 18 bis 35 Metern Höhe durch das Geäst der heimischen Buchen, Eichen, Kiefern und Fichten. Auf dem Pfad gibt es eine ganze Menge zu entdecken und zu erleben, und das nicht nur für höhenerprobte Kletterkünstler.
So wurden denn bei den zahlreichen Infostationen des Parcours die Stimmen der Waldbewohner aufs eifrigste aktiviert und deren Besitzer identifiziert. Schwankende Dschungelbrücken, luftige Aussichtstürme und eine 40 Meter lange Baumrutsche sorgten dann auch für das Abenteuer-Feeling, das sich auch – oder eben gerade – unsere sehbehinderten Teilnehmer nicht entgehen lassen wollten.
Pfälzer Gastronomie servierte uns das Panoramarestaurant im Biosphärenhaus auf seiner Aussichtsterrasse. Den Nachmittag verbrachte ein jeder nach Lust und Laune, im Thermalbad, in der Sauna, auf dem Barfußpfad oder – manche können gar nicht anders – mit einer kleinen Radtour.
Tag 5
Unsere dritte Radtour führte uns wieder zu unseren französischen Nachbarn ins nahegelegene Nordelsass. In zwei getrennten Leistungsgruppen ging es nach Bitche, was streng genommen schon Lothringen ist (das nur für die Besserwisser!).
Die Gruppe mit der längeren Anfahrt durfte sich diesmal an drei Berganstiegen einmal so richtig auspowern. Als sie dann endlich Bitche erreichte, saßen die mit der kürzeren Anfahrt schon ganz entspannt beim Picknick im Garten unterhalb der Zitadelle.
Manch einer hatte auch noch Lust, sich die Zitadelle von außen, andere sogar von innen anzusehen. Die 1680 von Baumeister Vauban erbaute Anlage lässt auch heute noch den Besucher erschauern angesichts der Kriegsszenarien von 1870/71 und der mit Audioguide nacherlebbaren Lebensbedingungen für Mensch und Vieh nicht nur zu Zeiten Ludwigs des XIV. Wer nicht auf die Zitadelle wollte, konnte in dem schön angelegten „Garten für den Frieden“ lustwandeln und sich für die Rückfahrt ausruhen.
Die war dann nur noch ein Hopser über die grüne Grenze, durch angenehm kühlen Wald und vorbei an den Weihern (hier Wooge genannt) und Wiesen der lieblichen Flussauen um Ludwigswinkel, ein Name in Erinnerung an den ersten Bayernkönig dieses Namens, der sich in dieser Gegend auch schon wohlgefühlt hat.
Tag 6
Vorbei an Heufelsen und Teufelstisch, Falkenburg und Wilgartaburg – beeindruckenden Felsformationen in den Tälern der Lauter und der Queich -, ging es zunächst auf dem Planeten-Radweg und anschließend auf dem Queichtalradweg nach Annweiler. Den auch für geübte Radfahrer heftige Anstieg zur Kaiserburg Trifels – Burgen liegen aus gutem Grund immer oben! – durfte ein jeder in seinem Tempo absolvieren.
Wer nicht mehr wollte, wurde im Auto mitgenommen oder durfte schieben. Oben wartete das Mittagessen als verdiente Belohnung für die mühevolle „Bergbesteigung“. Danach führte uns Herr Unger auf unterhaltsame Weise durch die Gemäuer der einstigen Reichsburg im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, zeigte uns die Reichsinsignien oder Kleinodien der Stauferkaiser und ließ auch einen von uns mal kurz Kaiser sein. Die Geschichte von der Gefangenschaft von Richard Löwenherz durfte natürlich auch nicht fehlen.
Irgendwie hatten wir über den Erzählungen aus alter Zeit die Tageszeit aus den Augen verloren, und so machten wir uns im Eiltempo auf den Heimweg. „Auf Zug fahren“ nennt man das, sagte mir ein Radprofi. Wir schafften es auch noch gerade zum Abendessen in der Heilsbach und stürzten uns gierig auf das Buffet. Aber die netten Leute von der Heilsbach hätten das auch noch eine Weile für uns warm gehalten, da bin ich mir ganz sicher.
Der Abend klang aus mit einem wehmutsvollen Rückblick auf die Tandem-Tour im vergangenen Jahr, bei der wir den Jakobsweg in Spanien zusammen mit einer spanischen Blinden-Tandemgruppe befahren hatten.
Tag 7
Was wäre ein Aufenthalt im Pfälzer Wald ohne einen Ausflug an die Deutsche Weinstraße? Einen Teil davon hatten wir ja schon gesehen, aber der interessanteste lag noch vor uns. Alle Radtourenbeschreibungen stufen den Radweg Deutsche Weinstraße als schwierig ein, aus diesem Grunde hatten wir ihn auch auf zwei Etappen verteilt.
Also gut, heute war der Abschnitt zwischen Klingenmünster und Neustadt dran. Bergauf und bergab ging es auf einer der malerischsten Touristikstraßen Europas. Vorbei an der historischen Madenburg, entlang der Rebhänge um den nach dem Maler Max Slevogt benannten Slevogthof, unterhalb der Villa Ludwigshöhe vorbei und schließlich auf das Hambacher Schloss zusteuernd, durchquerten wir in der Mittagssonne die Weinberge und die Weindörfer mit ihren malerisch herausgeputzten Fachwerkhäuschen.
Der Zeitplan war eng: auf uns warteten in der Mittagspause auf dem Weingut in Hainfeld eine Reporterin der Rheinpfalz, auf dem Hetzelplatz in Neustadt die Stadtführerin und anschließend im historischen Gastraum „zum Löwen“ der Bürgermeister, und schließlich wollten wir ja noch den Pfälzer Wein kosten. Von letzterem waren wir dann so selig, dass wir den Rücktransport lieber einem örtlichen Busunternehmen überlassen wollten.
Spät wurde es trotzdem. Dank unseres netten Kochs, der schon alles für den Grillabend hergerichtet hatte, und dank der vielen helfenden Hände unserer Gruppe wurde es dann doch noch ein gelungener Abschluss unserer diesjährigen Tandem-Tour. Dazu gab es Tandem-Wein und Tandem-Latein. Denn alles darf man denen auch nicht glauben!
Tag 8
Nun, außer Frühstücken und Zimmerräumen, Einpacken und Abschiednehmen gab es nichts mehr zu tun. Letzteres zog sich – nicht zuletzt wegen der gegenseitigen Beteuerungen, „sowas Schönes“ nochmal zusammen zu machen – doch sichtlich in die Länge.
Bis wieder alle in sämtliche Himmelsrichtungen davongestoben waren, war es Mittag geworden. Also machten auch wir uns auf den Heimweg, froh und glücklich ob der unfallfreien Touren, sonnigen Wetterlage und offenkundigen Zufriedenheit der Teilnehmer der Tandem-Tour im Pfälzerwald im Juni 2013.
Bis zur nächsten Tour grüße ich alle ganz herzlich in der Runde,
Elisabeth Kaicher
P.S. Wegen des großen Interesses werden wir diese Tour im nächsten Jahr, 2014, wiederholen. Vorgesehen ist die Woche um Christi Himmelfahrt. Schon mal vormerken!!!